Vollversammlung
24.04.2025

Der Obmann konnte mit über 380 anwesenden Mitgliedern auf ein erfolgreiches Jahr 2024 der Raiffeisenkasse Prad-Taufers im Raiffeisensaal in Prad zurückblicken.

Das Kundengeschäftsvolumen ist auf 747 Mio. € angestiegen. Die direkten und indirekten Einlagen stiegen um beachtliche 12,21 % auf 530 Mio. €. Das bilanzielle Eigenkapital liegt nun bei 66 Mio. €.

Neben der Genehmigung der Bilanz stand der Gastvortrag „Fürchtet euch nicht: Wie sehr Ruhe, Gelassenheit und ein gesunder Hausverstand unser Leben nicht nur anders, sondern auch besser machen.“ auf dem Programm. Dieser fand bei den Mitgliedern einen sehr großen Anklang.

 

Reden verbindet
Gastvortrag Dr. Mario Pinggera

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Anwesende
gerne habe ich die Einladung zu Eurer heutigen Vollversammlung unter dem Thema «Reden verbindet» angenommen. Zunächst einige Bemerkungen zu meiner derzeitigen Funktion und zu meinem Werdegang. Derzeit bin ich Pfarrer und Seelsorger der beiden Pflegeheime der Pfarrei Richterswil-Samstagern am Zürichsee. Ein Amt, das ich seit 2006 mittlerweile in der vierten Amtsperiode bekleiden darf. Gleichzeitig bin ich auch als Spitalseelsorger tätig. Zudem bin ich Dozent für Gesang, Sprecherziehung und Kirchenmusik an der Theologischen Hochschule in Chur. 1993 habe ich das Masterstudium an der Hochschule für Kirchenmusik in Rottenburg am Neckar abgeschlossen, 1996 in Frankfurt das Staatsexamen erworben und 2001 an der Universtité de Fribourg das Lizentiat in Theologie abgeschlossen. 2019 bekam ich vor der Universität Zürich die Doktorwürde verliehen nach dem Abschluss meiner Dissertation «Musik und Kirche unter dem Einfluss der Nationalsozialistischen Diktatur in Südtirol». Neben meiner Aufgabe als Seelsorger gebe ich gelegentlich Orgelkonzerte oder helfe bei einem Reisebusunternehmen unweit von Richterswil als Aushilfsfahrer. Ich mache das nicht, weil ich zu viel übrige Zeit habe – im Gegenteil. Einen Bus selbst zu steuern, hat etwas Meditatives und gibt Gelassenheit und Ruhe, zwei Aspekte des Gastvortrages. Priester bin ich geworden, weil ich es immer schon wollte.
Nicht zuletzt einprägsam war der 1. Juni 1978, als ich als Neunjähriger vom Auto überfahren wurde und man mich schon aufgegeben hatte. Am Sonntag darauf kam ein Pater zu mir in Krankenzimmer und brachte mir die Kommunion. Wir sprachen einige Zeit miteinander. Da habe ich mir gedacht «was der macht, das macht doch Sinn, das musst Du später auch machen!». Und so kam es. Der Moment des Unfalles selbst bescherte absolute Leichtigkeit und ein ganz helles Licht – bis ich mich dann unter dem Auto wiederfand. Aber seither weiss ich, dass dieses «Fürchte Dich nicht» auch für den Moment gilt, wenn wir an der Schwelle zum nächsten Leben stehen.
Richterswil ist eine mittelgrosse Pfarrei und Kirchgemeinde mit gegen 4'000 Gläubigen. Als Pfarrer darf ich für knapp 20 Angestellte verantwortlich sein, vom Jugendseelsorger über die Katechese bis zu Sakristanen und Hauswartung. Das kirchliche Leben im Kanton Zürich steht auf drei tragenden Säulen: Die Kirchenpflege ist als staatskirchenrechtliche Körperschaft für die Steuern und die Arbeitsverträge zuständig. Die Kirchenstiftung ist eine Körperschaft gemäss Handelsregister und Eigentümerin der kirchlichen Gebäude. Sie wird vom Pfarrer präsidiert. Der Pfarreirat fungiert als Gremium wie hierzulande der Pfarrgemeinderat. Die Kirchenpflege wird alle vier Jahre, der Pfarrer alle sechs Jahre von den Stimmberechtigten an der Urne gewählt. Diese Struktur gibt es seit 1963, alsdamals die Katholische Kirche vom Staat (Zürich) als Körperschaft öffentlichen Rechtes anerkannt wurde. Gleichzeitig verpflichtete sich die Kirche im Kanton Zürich, die staatlichen demokratischen Standards bezüglich Steuerverwendung und Pfarrwahl einzuführen. Dass ein Pfarrer sein Amt ausführen kann, bedarf also zunächst einer gültigen Wahl und dann der Ernennung durch den Bischof. Selbstverständlich gibt es auch Situationen, wo ein Seelsorger abgewählt wird. Das hat dann aber seine Gründe. Ein Pfarrer hat Leitungsfunktion. Personen in Leitungsfunktion müssen in der Lage sein, sich in Frage stellen lassen zu können. Personen in Leitungsfunktion sehen Mitarbeitende als wichtiges Korrektiv und nicht als Störenfriede, die zu schweigen haben. Nur so kommt eine sachdienliche und positive Unternehmenskultur zustande, die immer gepflegt und weiterentwickelt sein will und muss.
Zweimal im Jahr kommt die ordentliche Kirchgemeindeversammlung zusammen, das sind die stimmberechtigten Pfarreimitglieder, im Frühjahr wird die Rechnung des vergangenen Jahres abgenommen, im Herbst das Budget für das folgende Jahr verabschiedet und der Steuerfuss festgesetzt. Unsere Tagesordnung in der Kirchgemeindeversammlung ist mit der heutigen nahezu deckungsgleich. Dieses duale System im Kanton Zürich, welches die Kooperation zwischen Bistum und Staat meint, ist durchaus aufwendig, aber vorteilhaft. Die Macht ist somit verteilt. Aber: wir müssen miteinander reden. Und wir müssen wissen, wie wir gegebenenfalls miteinander streiten, und zwar konstruktiv, ohne dass gleich alle davonlaufen. Reden verbindet, wie es auf der Einladung von heute heisst. Das beste System, die beste Unternehmensphilosophie, das beste Organigramm nützt nichts, solange es nur Papier füllt und die Leute nicht miteinander reden. Oder nur reden, aber nichts sagen. Oder reden und lügen, dass sich die Balken biegen. Ein Phänomen, das in der Politik bisweilen anzutreffen ist. So hat es der österreichische Literat Karl Krauss einst auf den Punkt gebracht: Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken. Reden verbindet. Richtig! Aber reden kann mühsam sein, nämlich dann, wenn mangelndes Verständnis oder mangelnde Einsicht das Reden ins Leere laufen lassen. Wenn der gesunde Hausverstand oder Menschenverstand menschlicher Egozentrik und Narzissmus zum Opfer fällt.
Der Philosoph Franz Rosenzweig beschreibt in seinem kleinen und sehr lesenswerten Büchlein mit dem Titel «Vom gesunden und kranken Menschenverstand» einen Besuch im Spital. Ein Patient ist schwer erkrankt. Beim Patienten handelt es sich um den gesunden Menschenverstand. Er liegt völlig kraftlos und ermattet in seinem Krankenzimmer und bekommt Besuch.
Die Diagnose ist niederschmetternd: Der gesunde Menschenverstand ist bedroht von der akuten Situation, dass er den Verstand völlig verliert. Und zwar ganz plötzlich. Der Grund für diesen Verlust des Verstandes ist schnell gefunden: Er ist vom Wirklichen ins Eigentliche abgeglitten. Wie geht das? Eigentlich wäre ich jetzt drüben in der Pfarrkirche beim Orgel spielen. Eigentlich. Aber was ist wirklich? Im Wirklichen bin ich hier. Eigentlich muss ich morgen nach Meran. Aber was ist wirklich? Im Wirklichen bleibe ich in Lichtenberg (was ist jetzt schon beschlossen habe, obwohl ich eigentlich in Meran sein sollte).
Vielleicht kommt Euch der schwer erkrankte Patient jetzt bekannt vor, der erkrankte gesunde Menschenverstand? Wie oft und in welchem Zusammenhang benützen wir das Wort eigentlich? Immer dann, wenn wir in Wirklichkeit etwas anders tun oder meinen. Immer dann, wenn wir ein klares Ja oder Nein umgehen wollen. Stellt Euch vor, der Pfarrer frägt die Braut bei der Trauung, ob sie den Bräutigam heiraten will und sie sagt «eigentlich ja» oder schlimmer noch «eigentlich ja, aber».
Ich bin überzeugt, dass die Welt – unsere Welt – immer dort am meisten im Argen liegt, wo das eigentliche – und damit fiktive – vorherrscht und nicht das Wirkliche. Eigentlich hätten wir alle gerne Frieden, auf der Welt, in Europa, in Prad, in der Familie, in der Freundschaft. Wieso also lassen wir es beim blöden irrealen Eigentlichen bewenden, statt alle Energie aufzuwenden, um endlich in der Wirklichkeit anzukommen?
In der Wirklichkeit angekommen ist der Mensch dann, wenn er erkennt, dass seine Möglichkeiten zwar begrenzt, deswegen aber trotzdem von hoher Bedeutung sind. Jede gelebte Stunde ist Leben und damit wertvoll und wiederholt sich nicht. Und genau deshalb sind wir unserem Leben das Wirkliche schuldig. Wir sollen so leben, dass Leben nicht nur so heisst, sondern es in Wirklichkeit auch ist. Das bedeutet einen bisweilen unbequemen Abschied vom Eigentlichen. Erlauben Sie mir, das mit einer kleinen Geschichte zu verdeutlichen. Es ist Winter und bitterkalt. Das Thermometer zeigt zweistellige Minusgrade. Zwei Herren sitzen im Abteil eines Zuges. Und jedes Mal, wenn der Zug an einem Bahnhof hält, stöhnt einer der beiden Herren ziemlich eindringlich. Das wiederholt sich in jeder Station. Irgendwann wird der andere Herr ungeduldig und fragt den anderen nach dem Grund des Stöhnens. Der gibt zur Antwort: Wissen Sie, ich fahre in die falsche Richtung! Da meint der andere Herr: Dann steigen Sie doch um! Worauf dieser antwortet: Ach nein, wissen Sie, hier im Abteil ist es so wunderschön warm. Eigentlich müsste der Mann umsteigen. Aber die Trägheit siegt und er verharrt in einer Wirklichkeit, die gar nicht seinem Wunsch entspricht. Wie oft dies bei uns Menschen wohl vorkommt?
Wir sind hier verantwortlich für das Vorletzte. Das Vorletzte bezeichnet unser irdisches Leben: wie wir miteinander umgehen und wie wir mit der Schöpfung umgehen. Diese Verantwortung liegt allein bei uns und sie ist nicht delegierbar, wenn das auch bisweilen immer wieder versucht wird. Immer dann, wenn der Mensch sich aus seiner Verantwortung stiehlt: im Beruf, in der Beziehung und in der Gesellschaft. Das Letzte hingegen, wenn es um das Leben nach dem irdischen Leben geht, das dürfen wir getrost in Gottes Hände legen. Bei ihm ist es bestens aufgehoben.
Der Sprachkünstler Heinz Erhardt sagte einst: «Es ist leichter eine Rede, als den Mund zu halten». So darf ich hier meinen Vortrag schliessen.
Herzlichen Dank für Eure geschätzte Aufmerksamkeit und uns allen noch einen schönen Abend.