Vortrag über die aktuelle Wirtschaftslage

Während der Auszählung der Stimmen hielt der neue Generaldirektor des Raiffeisenverbandes Südtirol. Dr. Paul Gasser, sein sehr beachtenswertes und von den Anwesenden mit großer Aufmerksamkeit verfolgtes Referat über die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung in der Welt und deren Bedeutung für die Raiffeisenkassen. Er schickte voraus, dass 2009 weltweit ein Krisenjahr war, das vielen Ländern ein negatives Wachstum mit historischem Ausmaß beschert hat. Dabei sind die Volkswirtschaften von Deutschland, Italien, England und Japan um 5%, jene von Frankreich und den Vereinigten Staaten um mehr als 2% eingebrochen. Solche Konjunktureinbrüche sind deutliche Zeichen dafür, dass im Weltwirtschaftssystem einiges schiefläuft und dass es Zeit ist, von der Illusion des unendlichen Fortschritts und Wachstums Abschied zu nehmen. 2008 ist die Welt nur haarscharf einem völligen Kollaps des Finanz- und Geldmarktes entronnen. Der Schock, den die Insolvenz der Investmentbank Lehman & Brothers 2008 auslöste, sitzt heute noch tief. Mit diesem für unmöglich gehaltenen Konkurs zeigte sich die Dimension der Krise, die den Börsencrash von 1929 bei weitem übertraf, und nur das schnelle Eingreifen von Regierungen und Notenbanken konnte das Schlimmste verhindern. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft werden aber noch jahrelang zu spüren sein. Die allgemeine Verschuldung der öffentlichen Haushalte sind nach wie vor Schwachstellen des gesamten Wirtschaftssystems, Griechenland und andere europäische Staaten bekommen das zurzeit besonders deutlich zu spüren. Das Credo von Dr. Gasser lautet deshalb, dass eine freie Wirtschaft einen starken Staat braucht, wie es umgekehrt keinen starken Staat geben kann, ohne freie Wirtschaft! Heute zeichnet sich eine grundlegende Veränderung der ökonomischen Weltordnung ab. Das Zentrum der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht verschiebt sich langsam aber unaufhaltsam zu den Schwellenländern. China ist schon jetzt die dritte Wirtschaftsmacht der Erde und dürfte spätestens 2050 die USA einholen. Indien, Brasilien, Indonesien und Russland sind dabei, mit einem unstillbaren Wunsch nach Wohlstand und mit einer unbändigen Leistungsbereitschaft ihren Entwicklungsrückstand wettzumachen. Die Reaktionen der westlichen Welt auf diese Veränderungen sind sehr zaghaft, und die Gefahr, dass der Westen im globalen Wettbewerb den Kürzeren zieht, darf nicht unterschätzt werden. Es kann mit Genugtuung festgestellt werden, dass die Krise Südtirol nur in abgeschwächter Form getroffen hat. An einzelnen Indikatoren erkennt man die negativen Auswirkungen der internationalen Wirtschaftskrise aber auch hier: der Rückgang der Exporte, die vermehrte Beanspruchung der Lohnausgleichskasse, ein leichter Anstieg der Arbeitslosenrate und die Zunahme der Kreditausfälle bei den Banken. Die Anzahl der im Handelsregister eingetragenen Firmen von 56.645 ist kaum zurückgegangen. Die Zahl der Konkurse liegt auf dem Niveau der früheren Jahre. Das von den Banken gewährte Kreditvolumen stieg noch einmal an. Mit 28 Mio. Übernachtungen nahm der Tourismus um 1,3 % zu. Gesamtwirtschaftlich Gesehen konnten zwei von drei Betrieben positive Erträge erwirtschaften und das Konsumklima war in Südtirol 2009 wesentlich besser als auf nationaler und europäischer Ebene. So gesehen hat Südtirols Wirtschaft im Jahr 2009 zwar eine Stagnation erlebt, ist aber nicht in eine Rezession abgedriftet. Für diese erfreuliche Tatsache sind mehrere Gründe ausschlaggebend. Einer davon ist die Rolle der Raiffeisenkassen, die maßgeblich zur Abfederung der Krise beigetragen haben.

Ausblicke: Chancen und Gefahren

In einem kurzen Ausblick traf Dr. Gasser folgende Überlegungen für die Zukunft:
Für das laufende Jahr wird auf internationaler Ebene eine konjunkturelle Normalisierung bzw. eine zögerliche Belebung erwartet. Das IFO München prognostiziert für 2010 folgende Wirtschaftswachstumsraten: Weltwirtschaft + 2,5%, USA + 2,4%, EU27 + 1,0%, Deutschland + 1,6%, Österreich + 1,4%, Italien + 0,5%. Die Südtiroler Wirtschaft wird 2010 also von einem etwas günstigeren internationalen Umfeld umgeben sein als im Vorjahr. Die Erholung der internationalen Wirtschaft wird jedoch vor allem von Brasilien, Russland, Indien, China getragen werden, womit sich die unmittelbaren positiven konjunkturellen Impulse für die Südtiroler Wirtschaft von außen in Grenzen halten werden. Mit Blick auf die Ertragserwartungen der Südtiroler Unternehmen rechnen rund drei Viertel der befragten Betriebe für das Jahr 2010 mit einem positiven Ergebnis. Die Zuversicht ist im Dienstleistungssektor und im Gastgewerbe am stärksten ausgeprägt. Deutlich gedämpfter sind die Prognosen von Seiten des Baugewerbes und der landwirtschaftlichen Genossenschaften. Es kann folglich davon ausgegangen werden, dass sich das Wirtschaftswachstum Südtirols im Jahr 2010 wieder im positiven Bereich bewegen wird, gleichzeitig aber auch, dass es sich nur um ein sehr leichtes Wachstum handeln wird. Dieser positive Ausblick sollte uns aber nicht die Gefahren vergessen lassen, die die Erhaltung unseres Wohlstandes in Zukunft beeinträchtigen können. Dazu zählen die enorme öffentliche Verschuldung und die damit verbundene Belastung der künftigen Generationen, der ausgereizte Steuerdruck, die hohen Kosten für Gesundheit und Pflege, die Überalterung der Gesellschaft und die damit einhergehende Finanzierung der Renten, die Bürokratie und Überreglementierung genauso wie die Abhängigkeit von Energie und Technik. Diese Gefahren zu erkennen ist umso wichtiger, weil man mit Blick auf die Staatsregierungen den Eindruck hat, dass nicht mit der gebotenen Rigorosität an Sanierungen und Reformen herangegangen wird. Und wenn wir an Griechenland denken, so muss uns bewusst sein, dass erstens die EU nicht unbegrenzt Hilfe leisten kann und zweitens Italien an ähnlichen Symptomen leidet. Es bleibt die Frage, was man dagegen tun kann, welche vorbeugenden Maßnahmen jeder Einzelne treffen kann. Zur Beantwortung dieser Frage folgende Thesen:

- Statt immer mehr, immer besser
- An sich selbst glauben – Eigeninitiative entwickeln
- Weitgehende Energieautarkie anstreben
- Energiefragen regional lösen
- Netzwerke bilden
- Zufriedenheit als Lebensqualität etablieren

Nach einem kräftigen Applaus auf Dr. Paul Gassers Vortrag servierten die Schenner Bäuerinnen als krönenden Abschluss eines langen und informationsreichen Versammlungsabends den Mitgliedern der Raiffeisenkasse noch ein köstliches Nachtmahl, während der alte und neue Obmann eine Mitgliederreise für 15 Anwesende zur Verlosung brachte. Am Ausgang gab es schließlich für alle noch ein Geschenk zum Mitnehmen.